Paul, Ma und Mo
auf duftender Reise

Eine Bildergeschichte über die Tunisreise der drei Künstlerfreunde Paul Klee, August Macke und Louis Moillet im Jahr 1914

Überfahrt unter Wasser ...

Im April 1914 machen sich drei befreundete Künstler auf nach Tunesien in Nordafrika. Ohne Flugzeug dauert das damals natürlich noch ziemlich lange.
   August Macke reist aus der Schweiz vom Thunersee an. Louis Moillet kommt auch aus der Schweiz, Paul Klee aus München. Paul Klee hat diese Reise schon lange geplant. Seine beiden guten Malerfreunde aus München Gabriele Münter und Wassily Kandinsky sind schon neun Jahre vorher in Tunesien gewesen, sie haben viel erzählt und auch Fotos mitgebracht.
   Paul, August und Louis treffen sich zuerst in Marseille in Frankreich, um dann gemeinsam weiter nach Tunesien zu fahren.

In ihren Koffern ist alles eingepackt, was sie auf der Reise brauchen werden. Da sie malen und zeichnen wollen, haben sie Aquarellfarbkästen, Blei-, Kohlestifte und Papier dabei. Die Farbkästen haben nur sechs Farben und sind sehr klein, damit sie sie gut und leicht transportieren können.
   In Pauls Gepäck darf sein Tagebuch nicht fehlen, denn er will die Geschichten aufschreiben, die sie auf der Reise erleben werden. In seinem Tagebuch nennt er übrigens August manchmal Ma und Louis Mo. Woher kommen wohl diese Spitznamen?

Zu Beginn der Reise würde vielleicht das in Pauls Tagebuch stehen:
6. April 1914:
Ma, Mo und ich sind heute um 12 Uhr mittags in Marseille abgefahren. Unser Schiff heißt Carthage.

Lasst uns in Pauls Tagebuch nachlesen, wie es weitergeht:

7. April 1914: Nach einer eintägigen Fahrt sind wir heute im Hafen von Tunis angekommen. Dort gibt es viele Menschen und riesige Schiffe. Ich sehe einen großen Kran, Säcke liegen herum. Eine Kutsche, die von einem Maultier gezogen wird, wartet auf uns. Wir gehen auf die Kutsche zu, der Kutscher begrüßt uns fröhlich auf Französisch und Mo handelt mit ihm den Fahrpreis aus. Mo kann die Sprache sehr gut im Gegensatz zu Ma und mir. Ma und ich stellen unsere Koffer ab und schauen uns ein bisschen um. Ein Fischer lädt seinen Fischfang aus. Schnell kommen Möwen und klauen sich ein paar Fische. Der Mann vertreibt sie ärgerlich. Etwas flitzt an uns vorbei und als ich hinsehe, merke ich, dass unsere Koffer weg sind.
   Mist, wir sind so verträumt gewesen, dass wir nicht aufgepasst haben. Jemand hat unsere Koffer gestohlen. Mo kommt zu uns und sagt, wir sollen schnell in die Kutsche einsteigen. Schon fahren wir los und dem Dieb hinterher, der unsere Koffer in den Händen hält. Er trägt einen schwarzen Anzug. Solche Anzüge haben hier normalerweise nur die Leute aus Europa und nicht die Tunesier an. Da dreht der Dieb sich zu uns um, er übersieht ein paar Säcke voller Datteln, stolpert und fällt hin. Unsere Kutsche bremst und wir steigen schnell aus. Die Polizei hat alles gesehen, sie gibt uns die Koffer zurück und nimmt den Mann mit.
   Da kommt auch schon Dr. Jaeggi, Mos Freund aus der Schweiz, der uns eigentlich am Hafen abholen wollte. Das beginnt ja ganz schön aufregend!

Die Terrasse

Paul, Louis und August treffen sich auf der Terrasse bei Dr. Jaeggi. Er ist ein Arzt aus der Schweiz und arbeitet in Tunesien. Er lebt im Vorort St. Germain außerhalb von Tunis. Er lädt die drei Freunde nach Hause ein. Louis und Paul übernachten sogar bei ihm, weil sie kein Geld für das Hotel haben, in dem August wohnt.
   Dr. Jaeggi hat eine wunderschöne Terrasse und einen Garten mit blaugrünen Pflanzen, sie heißen Sukkulenten. Louis und Paul liegen gemütlich in den Liegestühlen, sie trinken Kaffee, und genießen die Sonne und die schöneAussicht. Da sind bläuliche Berge in der Ferne und Häuser mit roten spitzen Dächern wie in Frankreich zu erkennen. Sie sehen nicht wie typische Häuser in Tunis aus.

August schreibt seiner Frau Elisabeth eine Postkarte, in der er erzählt, dass sie ganz viel arbeiten und malt dann ein Aquarell vom Garten des Doktors. Die Aquarellfarben sind sehr praktisch. Diese besonderen Wasserfarben trocknen hier bei dem heißen Wetter sehr gut und August kann sehr schnell malen, denn hier gibt es soviel zu entdecken. Manchmal bindet er sich sogar eine Konservendose für das Wasser zum Malen an den Arm, dann muss er den Behälter nicht immer suchen.
   August sieht rote Blumen, die wie Sterne und Kreise aussehen, blaue und grüne Pflanzen. Achmed, der Diener des Dr. Jaeggi, gießt gerade den Garten. Dann geht dieser die Treppe zur Terrasse hoch.
   Er fragt die Freunde, ob sie bald schlafen gehen wollen.
   Aber alle möchten noch ein bisschen bleiben, weil es auf der Terrasse einfach so schön ist.

Der Basar

Nachdem sie sich an einem Tag auf der Terrasse ausgeruht haben, gehen sie dann auch einmal zum Einkaufen in den Souk. August schreibt aus Tunesien Briefe an seine Frau Elisabeth in der Schweiz. In einem könnte er von dem Einkaufsbummel erzählt haben:

„Heute waren wir im Souk. Das sprichst du so aus: suk. Das ist ein Markt. Für Dich, Elisabeth, habe ich eine Bernsteinkette gekauft. Muslimische Gläubige verwenden diese Ketten hier auch zum Gebet. Ich habe dir außerdem ein Kissen gekauft und für mich ein paar gelbe babouches, das sprichst Du so aus: babusch. Das sind sehr praktische Lederpantoffel, die die tunesischen Männer tragen.
   Überall auf dem Markt waren Menschen und es war sehr laut. Alle schrien auf Arabisch oder Französisch durcheinander, um ihre Waren anzupreisen: „Regardez les jolis vases“ - das ist französisch und heißt: „Schauen Sie sich die hübschen Vasen an!“
   Oder die Verkäufer handelten mit uns: ستّة - das ist arabisch und Du kannst es so aussprechen: sita: das bedeutet sechs, خمسة - khomsa: das bedeutet fünf, أربعة - eerba: das bedeutet vier.

Wir entdeckten einen Schlangenbeschwörer, der die Schlangen wundervoll durch die Lüfte tanzen ließ. Dann sagte Louis plötzlich zu mir: „August, ich habe gerade bemerkt, dass in deiner Jackentasche ein Loch ist. Aber vielleicht habe ich mich auch getäuscht.“
   Ich schaute nach, ob noch alles da war, aber die Bernsteinkette für Dich fehlte. Wir wussten nicht, was wir tun sollten und suchten verzweifelt den ganzen Souk ab. Wir schauten unter Vasen, Teppichen und sogar unter den Fischen nach. Aber vergeblich. Wir fanden sie nicht. Völlig erschöpft setzten wir uns hin, da schrie Louis: „Da ist ein Mann, der deine Bernsteinkette gefunden hat.“ Louis lief zu ihm hinüber und bedankte sich bei ihm:„Merci, le collier est à nous.“ Das ist französisch und bedeutet: Danke, die Kette gehört uns!
   Was glaubst Du, wo die Kette gefunden wurde? Sie war tatsächlich unter einer.....*
Erschöpft von der Suche hatten wir Durst und Hunger. Da kehrten wir in ein Café ein.“

*Suche im Bild die Kette!

Das Café

Es ist Ostermontagnachmittag und die Sonne glüht. Paul und Louis sitzen an einem kleinen Tisch im Café. August steht neben ihnen und schießt Fotos. Louis bestellt beim Kellner auf Französisch: „Un café, deux thés à la menthe et des gâteaux, s´il vous plaît“, „Ein Kaffee, zwei Pfefferminztee und Gebäck, bitte!“)
   Der Kellner trägt einen roten chékia (das ist ein roter zylinderförmiger Hut mit schwarzer Quaste und das spricht man so aus: tschekia) und einen gelben jibba (das ist ein langes Gewand und das spricht man so aus: tschibba)
   Es duftet nach Kaffee, Pfefferminz und Datteln. Paul schnappt sich den Bleistift und schreibt in sein Tagebuch. Nachdem August genug Fotos gemacht hat, zeichnet er mit einem Kohlestift das Café mit seiner Terrasse.

Der Kellner bringt die Bestellungen und nun machen es sich die drei Freunde zum Kaffee- und Teetratsch gemütlich. Sie schauen sich Fotos an, die Gabriele Münter auf ihrer Reise durch die Wüste in Tunesien 1905 gemacht hat. Sie sehen Kamele und Touristen, die darauf reiten.

Da kommt den drei Künstlerfreunden die Idee, auch einen Ausflug in die Wüste zu unternehmen.


Die Wüste

Vor den Mauern der Stadt Kairouan ist es sehr trocken und sandig.
   Die drei Freunde reiten auf Maultieren und machen Fotos. Paul und August malen dort auch Aquarelle und haben ganz ähnliche Ideen. Auf ihren Bildern sind auch Kamele zu sehen, die mit ihren dreieckigen Formen auf dem Rücken so aussehen, als ob sie Pyramiden tragen würden.

In sein Tagebuch hätte Paul vielleicht schreiben können:

„Hier ist es sehr heiß und trocken. Hinten sehen wir die weißen Häuser der Stadt, die Dächer sind rund, die Türme schön verziert. So habe ich es auch in den Bildern von Wassily Kandinsky gesehen, die er mir von seiner Tunesienreise gezeigt hat.
   Mit Ma und Mo habe ich viel Spaß. Wir sind dauernd damit beschäftigt, den Sand aus unseren Halbschuhen aus zu leeren. Gerne hätten wir jetzt auch die tunesischen Pantoffeln an, bei denen der Sand gleich hinten wieder raus rieselt.
   Das Licht und die Farben leuchten. Ich habe etwas bemerkt: Die Farbe hat mich erwischt. Ich bin Maler.“

Den drei Künstlerfreunden gefällt es sehr in Tunesien, aber sie machen sich auch Sorgen, weil französische Offiziere erzählen, dass es bald einen schrecklichen Krieg in Europa geben soll.
   Nach 14 Tagen ist die Reise auch schon zu Ende. August, Louis und Paul fahren mit dem Schiff und dem Zug wieder nach Hause. Mit den Skizzen und Fotos, die sie aus Tunesien mitgebracht haben, malen sie zu Hause mit Ölfarben große Bilder auf Leinwand und Papier.
   Nur kurze Zeit später bricht 1914 der Erste Weltkrieg aus. August stirbt im Krieg. Louis und Paul überleben ihn. Paul malt einige Jahre später dunkle Berge, Hügel, zerstörte Häuser und Gräber, aber auf einem seiner Bilder ist ein Rosengarten zu sehen. Es ist ein fröhliches Bild mit einer Stadt in hellen Farben: rosa, rot, weiß und gut riechenden Rosen. Dieses Bild hat ihn sicherlich an die schöne Reise mit Ma und Mo nach Tunesien erinnert

Nachwort:

Auf ihrer Tunisreise 1914 entdeckten die Malerfreunde Paul Klee, August Macke und Louis Moillet eine ganz neue Malerei für sich. Doch die Reise endete traurig, denn bald nach ihrer Rückkehr befand sich Europa mitten im Krieg.

100 Jahre danach gingen 18 Münchner Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 13 Jahren auf Spurensuche in der städtischen Galerie im Lenbachhaus. Die Bilder der Sammlung erzählen noch heute von diesem Abenteuer und dem traurigen Ende.

So entstand „Paul, Ma und Mo auf duftender Reise“ in einem dreitägigen Ferienworkshop im Oktober 2014. Die jungen AutorInnen und IllustratorInnen erzählen in Texten und Bildern ihre ganz eigene „neue“, fiktive Geschichte aus ihrer Sicht. Unterstützt wurden sie dabei von der Illustratorin Steffi Duckstein und den KunstvermittlerInnen Stephanie Lyakine-Schönweitz, Julia Marx und Michael Botz.

Die AutorInnen und IllustratorInnen sind:

Rasmus, Tizian, Tessa, Milla, Jakob, Paul, Elisabeth, Lilli, Max, Kara, Amelia, Zoe, Louise, Jule, Stella, Lea, Clara, Feli

Ein Projekt von KuKi – Kunst für Kinder e.V. in Kooperation mit der städtischen Galerie im Lenbachhaus, gefördert durch den Förderverein des Lenbachhauses

Der Workshop ist Teil des Programmheftes 1914-2014. Die Neuvermessung Europas des Kulturreferats der Landeshauptstadt München

Impressum

Projektkonzeption/Kunstpädagogische Begleitung: Stephanie Lyakine-Schönweitz, Julia Marx, Michael Botz
Begleitung Illustration: Steffi Duckstein

„Paul, Ma und Mo auf duftender Reise“

Herausgegeben von KuKi e.V.- Kunst für Kinder, Steffi Duckstein/Stephanie Lyakine-Schönweitz/Julia Marx/Michael Botz

Redaktion: Stephanie Lyakine-Schönweitz, Julia Marx

Lektorat: Julia Schönweitz

Gestaltung/Programmierung: Michael Botz

© KuKi e.V. – Kunst für Kinder. München 2014

Diese Werke der Maler Paul Klee, August Macke, Louis Moillet und Wassily Kandinsky haben die jungen AutorInnen und IllustratorInnen inspiriert:

im Lenbachhaus

August Macke, St. Germain bei Tunis, 1914, Aquarell, 26 x 21 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

August Macke, Gartentor, 1914, Aquarell, 31 x 22,5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

August Macke, Türkisches Café, 1914, Öl auf Holz, 60 x 35 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Paul Klee, Zerstörte Stadt, 1920, Öl, Papier, grau-blauer Karton, Karton, silber getrübtes Papier, 22. 3 x 19, 5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Paul Klee, Rosengarten, 1920/44, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München und Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung mit Hilfe der Münchener RückversicherungsAG und der Allianz-Versicherungsgesellschaft erworben 1980

Paul Klee, Föhn im Marc´schen Garten, 1915, Aquarell

Wassily Kandinsky, Improvisation 6 (Afrikanisches), 1909, Öl auf Leinwand,107 x 99.5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

in anderen Museen und Sammlungen

Paul Klee, Kairouan/Kamele, Aquarell, Kunstmuseum Bern

August Macke, Hafenbild, 1914, Aquarell, 20 x 24 cm, Privatbesitz

August Macke, Innenhof des Landhauses in St.Germain, 1914, Aquarell, 26,5 x 20,5, Städtisches Kunstmuseum Bonn

August Macke, Kairouan I, 1914, Aquarell, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

August Macke, Händler mit Krügen, 1914, Aquarell, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster

August Macke, Im Bazar, 1914, Aquarell, Privatbesitz

Ausgewählte Literatur

(wer mehr über die Tunisreise wissen will, wie´s wirklich war:)

Moeller, Magdalena: August Macke. Die Tunisreise, 5.Auflage, München 2005

Macke, August: Die Tunisreise. Aquarelle und Zeichnungen, DuMont-Ausgabe, Erstausgabe 1958; als Kunsttaschenbuch 1973 veröffentlicht

Frese, Werner; Güse, Ernst-Gerhard (Hrsg.): August Mackem Briefe an Elisabeth und die Freunde, München 1987

Orientalismus in Europa.Von Delacroix bis Kandinsky, Ausstellungskatalog, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 2011